Projekt Beschreibung

Von New York nach San Francisco

Einmal quer durch die USA. 6000 Kilometer in drei Monaten mit dem Fahrrad. So der Plan. Meine Geschichte, mein Leiden, Glücksmomente und Erfahrungen. Die vorab geplante Route findet sich auf meinem Outdooractive Profil.

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Ziel

Tage des Vulkans

Nun sollte es endlich losgehen. Die Route von New York nach San Francisco war nach wochen- gar monatelanger Vorbereitung endlich final abgesteckt und sowohl im Navigationsgerät gespeichert, als auch in guten alten Papierkarten markiert. Hilfreiche Infos zu Campingplätzen oder Motels wurden recheriert und sorgfältig abgeheftet. Ich habe online Unmengen in hochwertige Ausrüstung investiert, so dass mein Browser mich derzeit durchweg mit Adds zu Fahrradprodukten bombardiert, anstatt mit einer gewöhnlichen Penisverlängerung zu werben. Die beunruhigende Tatsache, dass meine Trainingseinheiten aufgrund des langen Winters eher tröpfchenweise stattfanden, kompensierte ich mit winterresistentem Sport und vorallendingen mit einer unbändigen, möglicherweise naiven Motivation auf diesen Trip. Pack‘ ma’s!

Doch am Tage des Abflug demonstrierte die Natur des Menschen Grenzen. Frankfurt, 16. Mai 2010, nichts geht mehr. „Eyjafjalla“, oder auch einfach „der Vulkan“ genannt, legte den gesamten europäischen Flugverkehr lahm. Die Nachricht meines gecancelten Fluges erreichte mich leider erst, nachdem ich bereits voller Vorfreude auf dem Sitzplatz des ICEs auf und ab gesprungen bin. Mit beeindruckend sperrigen Gepäck und einen Trosttermin für den nächsten Flug am Montagmorgen stand ich nun im Frankfurter Flughafen.

Neben Berlin ist Frankfurt die größte Aussenstellte des Freiburger Freundeskreis, somit habe ich es dank der sofortigen und selbstlosen Gastfreundschaft von Ralf & Pat nicht nur vier Wände, etwas warmes zum Essen sowie Wein und Gesang geboten bekommen, sondern konnte auch endlich den überfälligen Besuch in deren renovierten Bude abharken können. Mit dem folgenden sommerlichen und unterhaltsamen Wochenende habe ich es wohl besser als 98% aller gestrandeten Passagiere erwischt. Während zahllose 14tägige Urlaubspläne mancher Großfamilien auf Mallorca & Co, oder der geplante 60. Geburtstag des Onkels wie Seifenblase zerplatzen, konnte ich bereits einen Hauch von Urlaub genießen. Wenn auch nicht wie geplant.

Doch auch der Flug am Montag sollte gecancelt werden. Die Forderungen nach einem Ende des Flugverbots wurden lauter und lauter, wenngleich „Eyjafj…“, ach, der Vulkan seiner Natur entsprechend sich herzlich wenig um die Belangen der Menschheit kümmerte und fröhlich weiter Staub und Asche in Luftraum blies. Dank meines kollegialen und flexiblen Brötchengebers konnte ich es veranlassen, den gesamten Trip schlicht um zwei Wochen nach hinten zu verschieben und somit erst zum 1. Mai zu starten. Good things come to those who wait…

Abreise die zweite. Nach dem Chaos rund um den hustenden Eyjafjalla und das daraus resultierende europaweite Flugverbot, sollte der Startschuss zu meinem USA Trip tatsächlich nun doch noch fallen. Aufgrund der gesammelten Erfahrungen zwei Wochen zuvor, war es diesmal ein Leichtes, mich im Frankfurter Flughafen zurechtzufinden und das Gepäck, vorallendingen mein heiliges Bike, der ersten vertrauenswürdigen Dame im Check-in Bereich überreichen zu dürfen.

Nach einem siebenstündigen Flug und einer ebensolangen Wartezeite in Frankfürt und London, baute sich die nächtliche Skyline New Yorks das erste mal vor mir auf. Diese machte an Abend der Anreise herzlich wenig her, da auf eine Manhatten Ehrenrunde offentlich verzichtet wurde. Auch am Boden wirkten die Strassen New York nicht gerade einladend. Wenn der Weg zum Hostel bereits dem Taxifahrer unheimlich wird, erwecken die kolumbianischen und mexikanischen Drogendealer den Ecken nicht gerade heimische Gefühle. Der Fahrer absolvierte seinen Job wohl auch noch nicht sonderlich lange, so musste ich ihm gar mit meinem Handy-Navi aushelfen. Gutes Ding. Hat mir somit bereits den ersten Bärendienst erwiesen.

Tag 2: New York City nach South Plainfield

Am nächsten Morgen hatte der Zusammenbau des Bike oberste Priorität. Die aufwändige Verpackung des Kartons schien die sicherlich nicht zimperliche Gepäckbeförderungen von British Airways gut überstanden zu haben. Aber wie sah es innen drinne aus? Die gefühlte Tonne Luftpolsterfolie war nahezu ebenso schwer zu entfernen, wie sie aufgetragen wurde. Meine Darbietung wurde mit gespannten Argusaugen von den anwesenden Hostelbewohner verfolgt, während diese gemütlich ihr Frühstück verputzten. Nach etwas mehr als einer Stunde Stunde stand mein Gefährt, welches mich die nächsten 3 Monate ertragen soll, endlich zur Abfahrt bereit.

Dem Ruf und der Faszination der Stadt zum Trost, sollte New York von mir nicht die gebührende Aufmerksamkeit erhalten. Das bunte Treiben auf den Strassen, Wolkenkratzer oder Shoppingmeilen sind bei diesem Trip nicht mein Ziel. Mit lediglich einem kleinen Abstecher zu einer mir empfohlenen Fahrradwerkstatt, die meine etwas schleifenden Bremsen zurecht biegen sollten, suchte ich den direkten Weg zur Fähre, die mich von Manhatten nach Staten Island brachte.

„it’s called an island!“

Während ich verträumt die nobeln Bauten der vermeintlichen Insel bestaunte, näherte ich mich immer näher meiner ersten wichtigen Erfahrung: vertraue dem Navi nicht blind! Und Highways, besonders die, für welche auch noch eine Maut verlangt wird, sind wie nicht anders zu erwarten ausschliesslich für schwergewichtige Benzinfresser bestimmt. Mich trennten ca. 500m Strecke von meinem weitern Routenpunkt, doch aufgrund der topografischen Eigenschaft einer Insel, bot sich mir kein anderer Weg. Jeder der zwei, bzw. drei Brückenübergängen raus aus Staten Island sind vehicles-only! Frustriert beugte ich mich dem SChicksal und fuhr zurück in Richtung Hafen, auf dass ich von dort eine Fähre um Staten Island herum nehmen könnte. Doch so schmerzlich mich das Schicksal bereits am ersten Tag Lehrgeld bezahlen ließ, so versöhnlich zeigte es sich bald von der guten Seite. Eine dreier Gruppe Biker, die ich ansprach, um mich bezüglich der menschen- und fahrradfeindlichen Infrastruktur zu vergewissern, bot mir kurzerhand an, mich und mein Bike mitzunehmen! Ich traf die ersten Repräsentaten eines freundlichen und hilfsbereiten US-Amerikaners. Den Transport via Auto, Bahn oder ähnlichem habe ich mir selbst zwar ausschliesslich für Notfälle auf erlegt, doch soll diese Mitnahme hoffentlich die einzige einer langen und spannenden Reise sein.
Die Weiterfahrt gleich hinter dem nicht mal 500m langen Maut-übergang verlief anschliessend ohne weitere Zwischenfälle. Derweil wurde es zwar schon bedrohlich spät und auch der starke Berufsverkehr erleichterte meine Tour nicht sonderlich, doch gegen 19h erreichte ich endlich das Ende meiner ersten Tagesroute. Das bereits gebuchte und bezahlte Motel kam mir mit geradezu luxoriöser Ausstattung nach den Strapazen der letzten Stunden gerade recht.

Es wird ernst. Nach anfänglichem Geplänkel rund um New York und dem winzigen New Jersey liegt nun das 119.283 km² große Pennsylvania vor mir, dass neben seiner Größe und meiner noch offensichtlichen Unerfahrenheit bezüglicher solcher Radtouren vorallendingen aufgrund der Appalachen Gebirge meinen Respekt erhält. Acht Etappen plus ein oder zwei Ruhetage sind vorgesehen.

Tag 3: South Plainfield nach Quakertown

Nach einer geradezu alltäglich geruhsamen Nacht in dem Motelzimmer und gestärkt durch das überraschend vielseitige Frühstücksbankett, tickte bereits die Uhr zum Start der nächsten Tagesetappe. Die Landstraßen New Jerseys boten neben dem frustrierenden Auf und Ab des Straßenverlaufs keine all zu sensationellen Überraschungen. Eine urige Eisenbrücke stellte hingegen einen Hingucker und zugleich den Grenzübergang nach Pennsylvanien dar. Kaum betreten, begrüßte mich der Bundestaat mit dem ersten Wolkenbruch meines Trips, der mich aber dank kostspieliger Ausrüstung nicht aus der Fassung brachte.

Als mich das Navigationsgerät durch ein geradezu idyllisches Waldstück manövrierte, fiel mein Blick immer wieder auf die Gebietsabgrenzungen der Grundstückbesitzer. Gänze Wälder werden mit „Betreten verboten“ Hinweisen meterweise zugekleistert. Noch kann ich die Ernsthaftigkeit solcher Bekundungen nicht abwägen, doch sie rufen in mir ein deprimierendes Gefühl hervor, wunderschöne Landschaften sehen, aber nicht betreten zu dürfen.

Tag 4: Quakertown nach Morgentown

Morgen brach ich mit leerem Magen auf und genoss die frische Morgenluft. Nach einer Stunde Fahrt entschließe ich mich, dass nächste Restaurant oder eine beliebige Fastfoodkette aufzusuchen, um die nötige Basis für die weitere Fahrt zu schaffen. Und dies war bitter nötig! Die hüglige Landschaft nahm an Intensivität mehr und mehr. 100 Meter hoch, 100 Meter ab. Das geht in die Beine und auf die Nerven auch wenn sommerliche Temperaturen, strahlend blauer Himmel und das geradezu verschwenderische Grün der Landschaft oftmals die Strapazen zu kompensieren wussten.

Nach dem bereits routinierten Zeltaufbau am Abend lernte ich ein amerikanische Pärchen kennen: Lara & Guy. Mit dem meist wirkungsvollen und eindrucksschindenen Eisbrecher von meiner Route zu berichten, gewann ich schnell deren Aufmerksamkeit, auch wenn ich nicht mehr als einen Smalltalk im Sinn hatte. Doch die zwei boten mir in windeseile wein, Essen und insbesondere freundlichste Gesellschaft an. Es war die bis dato die mit Abstand schönste Begegnung meiner noch jungen Reise. Nachdem ich für ein anständiges Feuer und Glut gesorgt hatte, bekochte mich Guy geradezu königlich mit Bratkartoffeln und Hühchnenschenkeln und achtete gleichzeitig stets darauf dass sich der Inhalt meines Weinglases nicht dem Ende neigt. Es wurde viel und angeregt über Gott, die Welt und das Charma der Leute gesprochen.

Zum Abschluss erhielt ich meine ersten original flambierten ameri- kanischen Marshmellows und die Aufforderung vor meiner Abreise auch zum Frühstück zu erscheinen. Diese Begegnung war so ziemlich das sympathischste und interessanteste, was ich mich im Vorfeld zu hoffen erwägt habe.

Tag 5: Morgentown nach Holdwood

Die heutige Route versprach einen klaren, wenngleich auch gewohnt hügligen Straßenverlauf, den ich von Gegenwind einmal abgesehen bereits nur noch als mittelschwer eingestuft hätte. Ich traf meist grimmig dreinblickende Armishleute und ein Maikäfer wünschte mir Glück.

Doch das sportliche Unheil nahm seinen Lauf, als ich auf der Karte nach alter Familientradition eine Abkürzung erspähte, die deutlich beruhigteren Verkehr und eine weniger besiedelte Szenerie vorzuwiesen schien. Zwar boten sich mir verträumte Bergbäche und -Wiesen mit hohem Postkartenniveau, doch bliebt meine Kamera an diesem Nachmittag im Halfter verschlossen, da die vermeintliche Abkürzung sich als Horror entpuppte. Gefühlte 45° Steigungen waren keine Seltenheit und die ständigen Abfahrten brachten mich zur Weißglut, da sich weniger Meter voraus bereits die nächste steile Auffahrt ankündigte.

An einer Kreuzung und der letzten Abfahrt vor der Zielgeraden, erkundigte sich ein Einheimischer nach meinem Wohlbefinden und heutigem Schlafsplatz und bot mir zugleich an, mein Zelt statt auf dem teuren Camping bei ihm im Garten aufzustellen. Leider habe ich ein ernsthaftes Problem damit, Gastfreundschaft gleich beim ersten Mal dankend anzunehmen, da ich nicht zur Last fallen will. Hätte er mir wie Guy und Lara am Tag zuvor zweimal Wein angeboten, ich hätte seinem Garten sicherlich zugestimmt. Ich redete mir meine abblockende Haltung schön, da ich am Abend noch Wäsche zu waschen hatte, aber letztlich wurde mir die Dringlichkeit bewusst, Angebote und Geschenke zur Abwechslung auch gleich beim ersten Mal anzunehmen.

Tag 6: Holdwood nach Hanover

Ich spüre die gestrige Tortour deutlich in den Knochen und nehme mir vor, am heutigen Tag einfach nur Strecke zu machen. Doch bereits zum Anfang der Etappe erschwert die bereits dünne Besiedlung mein Vorankommen, denn ich starte wie übliche ohne selbst zu bereitetes Frühstück, da mir schlicht der Platz im Gepäck fehlt. Die Region erscheint mir mehr Kirchen als Restaurant, Märkte oder wenigstens Tankstellen vorzuweisen. Letztere erscheint mir nach 30km endlich am Horizont und es gibt eine winzige überteuerte Pizza mit zu süßem Kaffee.

Vom abendlichen Campingplatz gibt es kaum sonderliches zu berichten. Der einzige soziale Kontakt war ein Parkranger, der freundlich genug war, mich für lediglich 17$ anstatt der geforderten 21$ übernachten zu lassen, da ich bar nicht mehr vorzuweisen hatte.

Tag 7: Hanover nach Mercersburg

Die Tour führte mich am historischen Gettysburg vorbei, wo einer der größten und blutigsten Schlachten des amerikanischen Bürgerkriegs stattfand. Zahlreiche Souvenirstände und Reisebusse unterstreichen am heutigen Tage die Bedeutung des Ortes. Sightseeing findet jedoch keine sonderlich hohe Priorität auf meiner Reise, so belasse ich es bei ein paar Momentaufnahmen vom Straßenrand. Doch sollte dies bereits Ablenkung genug sein. Ich glaubte mich auf der richtige Straße zu befinden und strampelte fröhlich meine Kilometer herunter, als mich eine „kein Satellitenempfang“ Meldung aufschreckte. Glück im Unglück, denn ich habe im Gettysburgs Kreisverkauf die falsche Ausfahrt genommen und befand mich nunmehr seit 15km auf dem falschen Wege. Eine alternative Strecke war schnell gefunden und sie versprach sogar etwas weniger befahren zu sein. Die Hiobsbotschaft lies nicht lange auf sich warten, denn der sonst 1.5 Meter breite Seitenstreifen, welchen ich sonst weitestgehend für meine Fahrt nutze, war auf diesem Abschnitt aufgrund von Schutt und Streugut nicht zu gebrauchen. Während sich hinter mir ungeduldig die Trucks stauten, quälte ich mich auf noch nicht mal halber Tagesstrecke einen meiner ersten 900 Meter hohen Ausläufer der Appalachen empor. Viele weitere sollten die nächsten Tage folgen.

Vollkommen ausgebrannt kam ich nach 115 Kilometern steilem Auf und Ab am frühen Abend endlich an dem Etappenziel an. War es meine Sturheit, das gesetzte Ziel auch am heutigen Tage zu erreichen, oder schlicht der Mangel eines Alternativcampingplatzes? Das Schicksal treibt mich mit Zuckerbrot und Peitsche, denn der Campingplatz entpuppte sich als eine sympathisch, amerikanisch durchgeknallte Sippschaft, die sich seit jeher zu kennen schien. Mit Erzählungen und Plänen zu meiner Route findet sich meist ein ausgezeichneter Eisbrecher, womit ich schnell das Interesse der Leute geweckt habe und sie mich fortan in ihrem Kreise willkommen hießen. Abends gab es im örtlichen Klubhaus Countrymusik und schrecklich skurrile Karaoke und es fehlte wohl nur das ein oder andere Weinglas, auf das „d‘ Deutsche“ sein bestes zu Johnny Cash gegeben hätte.

Nach dem sechsten Tag in Folge radeln plane ich derzeit einen freien Tag ein. Umso schöner, dass dieser Sabbat auf einen solch familiären und kommunikativen Ort fiel. Die Gastfreundschaft überraschte mich am frühen Morgen auf’s neue, als mir unaufgefordert heißen Eintopf und Toast ans Zelt serviert wurde.

Den Nachmittag verbrachte ich in der anliegenden Gemeinde, wo auf dem Collage gerade ein Leichtathletik Wettkampf stattfand. Während ich faul das bunte Treiben vom grasigen Hügel aus betrachtete, erinnerte ich mich an die Energien die zuhause beim üblichen Sport kurzzeitig freigelassen werden können. Ich erinnerte mich an den Spaß und die Leidenschaft, 120% seiner Leistung zu geben, nur um nach kurzer Zeit zufrieden ausgepowert zurück sich lehnen zu können. Doch ich habe mir mit meinem Marathon einen schleichenden 8-10 Stundentag gewählt, nur um mich am nächsten Tag, auf’s neue heraus zu fordern. Erste Zweifel brodeln in mir auf, ob dies mir gefällt.

Tag 9: Mercersburg nach Schellsburg

In der Nacht hat es einen deutlichen Wetterumschwung gegeben. Waren die letzten Tage geradezu hochsommerlich, zogen nun dunkle Regenwolken auf, die mit einem peitschenden kräftigen Wind den ersten Regen gegen meine Zeltwand donnerten. Anfangs genieße ich die Toben und Brausen, das Platschen des Regens. Mein Zelt macht einen hervorragenden Eindruck. Doch dann dämmert es mir, dass meine Wäsche wie auch das Rad dem Sturm schutzlos ausgesetzt sind. Mit der murrenden Erkenntnis, dass es derweil auch schon zu spät ist, quäle ich mich aus dem Schlafsack, um die Sachen ins Trockene zu bringen.

War der Strecke hinzu Mercersburg bereits von steilen Auffahrten geprägt, bereitete ich mich mental bereits auf schlimmeres vor. Mindestens zwei spitzlaufende Berge mit 900+ Meter stellten sich mir heute in die Quere. Mit einer für Radfahrer denkbar ungeeigneten Topografie. Zwischen den  Höhepunkten liegt eine weite Ebene und diese ist obendrein übersät mit den üblichen kleinen und fiesen Auf und Abs.

Ich meistere diese zwei Herausforderungen doch nach einem kräftigen Mittagsmahl ändere ich meine Routenplanung, die mich laut Kartenmaterial vor einer dritten steilen Auffahrt bewahrt. Es handelt sich zwar um eine vielbefahrene zweispurige Bundesstraße, doch ich setze meinen Fokus auf „Kilometer gutmachen“ anstatt potenzielle Postkartenmotive vor die Linse zu bekommen. Doch während der Sturm der letzten Nacht sich bei meinen Auffahrten nur auf den Scheitelpunkten der Berge deutlich machte, schlug er mir auf der offenen Bundesstraße mit voller Härte entgegen. Zu allem Überdruss als Gegenwind. Ich fuhr wie gegen eine Masse aus Gelee. Auf einer gerade Strecke schaffte ich nur mit Müh und Not zweistellige km/h Anzeige! Der Wind war so stark, dass, sofern er zur Abwechslung von der Seite kam, mich mehrmals beinahe vom Rad geblasen hat. Ich war der Verzweiflung nahe. Nein, ich war darüber sogar schon hinaus. Ich erreiche auch am heutigen Tag mein gesetztes Ziel, doch ich verabschiede mich von der strickten Einhaltung meiner täglichen Etappenziele. Dieser Trip soll doch vorallendingen auch Spaß machen – eine Sache, die mir die fahrtechnisch die letzten Tage verwehrt blieb.

Tag 10: Schellsburg nach Somerset

Es liegt immernoch ein geradezu beängstigender Ausläufer der Appalachen vor mir. Berge kann ich längst nicht mehr sehen. Das Grün Pennsylvanias wird von Regenwolken und kühlen Temperaturen überschattet. Am heutigen Tage schalte ich einen Gang zurück. Nicht den meines Rades. Dies fährt weitestgehend nur noch auf dem untersten. Ich verabschiede hingegen von dem Ziel, täglich 80-100 Kilometer zu erreichen. Bei dieser geografischen Lage und in Anbetracht meines Gepäcks ist mir eine solche Strecke täglich auf’s Neue schlicht nicht möglich. Von einer entspannten Sonntagsfahrt kann dennoch keine Rede sein. Auf dem Berggipfel einige Kilometer vor Somerset thronen wie die besitzergreifende US-Flagge auf dem Mond ein großflächiger Park an Windkrafträder, die den Stellenwert des Gipfels geradezu unterstreichen zu scheinen. Ausnahmsweise komme ich mal nicht erst mit der Abendsonne am Campingplatz an, doch in Folge dessen, kann ich am heutigen Tage auch nur 54km Strecke vorweisen. Die zusätzliche Zeit nutze zur Neuplanung meiner Route. Ich muss aus den Appalachen! Eine sehr vielversprechende Route, die mich zwar einen Tag mehr kostet, hat sich vor mir aufgetan. Mit der Hoffnung, morgen endlich einen Horizont erblicken zu können, lege ich mich ins gemachte Bett und friere die Nacht abermals jämmerlich. Es ist bitter kalt.

Tag 11: Somerset nach Donegal

Drei paar Socken, Beinlinge und Pulli. Und dennoch musste ich die Nacht über mich nach Wärme suchend zusammen kauern. Erst im nächst gelegenen Dinner, nach Abbau meines Zeltes, bekomme ich endlich wieder volles Gefühl in meine Füße zurück. Die tiefhängenden Wolken entfalten ihre Ladung als ich das Lokal wohl genährt verlasse. Den Regen muss ich nehmen wie er kommt. Damit war zu rechnen. Auf Einheimische mache ich wohl dennoch einen verstörten Eindruck, werde ich gleich zweimal angehalten und erhalte das Angebot, bei ihnen im Truck mitzufahren. Dankend lehne ich ab. Selbst die neu gesteckte Route scheint sich zu bewahrheiten. Ich glaube an ein Ende der Berge.

Doch auf einer weiteren, derweil nicht mehr wirklich ernst zu nehmenden Anhöhe bringt das Wetterchaos aus: Plötzlich schneit es. Es schneit und hagelt. Und der zusätzlichen Regen durchweicht meine Kleidung. Während der Abfahrt peitscht mir der Eisregen sadistisch ins Gesicht und ich muss meine Mütze tiefer und tiefer ins Gesicht ziehen, so dass ich kaum noch mehr wie 5 Meter voraus schauen kann. Auch wenn Regenjacke wie auch die –Hose dem Wetter trotzen, sind meine Hände aufgrund der Kälte taub. Meine Schuhe durchnässt. Das Navigationsgerät kann ich kaum mehr bedienen, bin mir jedoch im Klaren, dass selbst zum reduzierten Tagesziel noch ca. 30 Kilometer fehlen. In dieser Verfassung gebe ich mich jedoch geschlagen und entschließe mich, beim nächsten Motel einzuchecken, egal was es kosten möge. Die, die mich näher kennen, wissen, wie groß meine Not gewesen sein muss.

Ich genieße während des restlichen stürmischen Tags den Luxus des Motelzimmers, hoffe auf Wetterbesserungen und verabschiede mich für heute mit diesen Zeilen. Gute Nacht Deutschland, wann auch immer Ihr dies lesen möget.

Tag 12: Donegal nach McChellandtown

Der Schrecken des letzten Tages scheint überwunden. Es herrscht zwar kein eitler Sonnenschein, doch die Straßen sind trocken und all zu bedrohlich wirkende Wolken sind im Himmel nicht zu erblicken. Mit einer gewissen Vorfreude trete ich in die Pedale, denn meinen Recherchen nach zu urteilen, sollte das schlimmste der Appalachen endlich überwunden sein. Einige letzten Steigungen, die üblichen Schikanen und dann läutet eine 6 Kilometer lange Abfahrt das vermeintliche Ende dieser Bergetappen ein. Mein Triumph scheint komplett, als ich mit Freudentränen gar einen Laster auf der linke Spur überhole. Ob sein Hupen zum Gruß oder als Warnung zu verstehen war, ich werde es wohl nie erfahren.

Doch Kleinvieh macht auch Mist. Von der so sehnlichst gewünschten Ebene ist nicht zu sehen, denn nach wie vor erschwert der weitestgehend hüglige Straßenverlauf das Vorankommen. Ehrgeiz und auch Wut treibt mich derweil an. Ich bin es leid, diese Anhöhen im ersten Gang hinauf zu kriechen. Als wäre mein Reisegepäck nicht vorhanden verlagere ich mein Gewicht nach vorne und erhöhe auf mittlere Schaltung, um mit kräftigen Tritten die zahlreichen Auffahrten zu bewältigen.

Doch diese Fahrweise zeigt bald negative Wirkung. Mein linkes Knie beginnt bei jedem Tritt zu stechen. Ich verteile die Energie auf das rechte Bein und versuche Kraft ausschließlich beim Hochziehen des linken Beines zu erzeugen. Doch die letzten Tage liegen mir noch deutlich in die Knochen und im Laufe des Spätnachmittags wird mir klar, dass ich auch heute nicht mein gesetztes Ziel erreichen werde.

Wie ein alter Truck schleppe ich mir durch einen Vorort. Ich habe es mir in den Sinn gesetzt, die Gastfreundschaft der Amerikaner auf die Probe zu stellen. An wieviele Türen muss ich wohl klopfen, nach einem einfachem Campplatz im Hinterhof fragend, bis man mir Zugang gewährt? Ich nehme das erste beleuchtete Haus ins Visier, welches mir auf dem Weg begegnet und ich kann meine Spannung wohl nicht verbergen. Zu untypisch ist mir dieses hausieren. Nachdem der kläffende Wachhund vom Hausherrn zurecht gewiesen wurde, ich mein Anliegen mit dem guten Aufhänger der nicht ganz gewöhnlichen Fahrradtour unterbreitete, wurde nicht länger gezögert und ein Campplatz im weitläufigen Hinterhof bereit gestellt. Ich hätte mich gerne noch ein paar weitere hundert Male bedankt, doch da war die derweil zusammen gekommen Großfamilie auch schon wieder im Haus verschwunden. Kein großes Feuerwerk. Einfach und gut. Ein Abend Camping für lau beim ersten Versuch. Das ist der erste strahlende Lichtblick seit einer langen Zeit.

Tag 13: McChellandtown nach Hundret

Ich stehe gegen 6 Uhr auf. Morgentau liegt auf meinem Zelt und dem Rad. Heute soll endlich die Grenze von Pennsylvania erreicht werden. Sicherlich wird sich gleich dahinter in West Virgina die Topografie nicht schlagartig ändert und mir endlich zügiges Vorankommen ermöglichen, doch hält dieser Meilensteil einen wichtigen psychologischen Wert für mich parat.

Die Hauptstraße Richtung Waynesburg, der nächstliegenden Stadt, ist in einem grauenvollen Zustand. Sie ist zu allem Überdruss von unzähligen Trucks befahren und der Seitenstreifen ist aufgrund seiner geringen Größe, Schotter und Schlamm quasi nicht befahrbar. Doch die nicht enden wollenden Anzahl von heranrückend Lastern zwingt mich immer wieder, auf genau diese Schotterpiste des Seitenstreifens auszuweichen. Mein noch immer schmerzendes Knie erlaubt es nicht, in einem zügigen Tempo Strecke gut zu machen und ich spüre die feindseligen Blicke der Autofahrer in meinem Rücken. Immer wieder spüre ich fiese stechende Schmerzen an der Außenseite meines linken Knies und sehe mich gezwungen, das Tempo mehr und mehr zu drosseln.

Als ich nach 25km Waynesburg erreiche, entschließe ich mich, erste Erfahrungen mit dem amerikanischen Gesundheitswesen zu sammeln und suche das örtliche Krankenhaus auf. Das Personal sowie mein betreuender Arzt sind allesamt bemerkenswert freundlich, zuvorkommend und respektvoll. Mir liegt nun ein Bild vor, wie sich Privatpatienten in Deutschland bei einem Arztbesuchen fühlen dürfen. Es wird kein erster Schaden am Gelenk diagnostiziert. Alles scheint noch am rechten Fleck zu sitzen. Stylische US-Painkillers und eine Sportbandage sollen die Sache richten – und Ruhe. Doch wie soll ich meinem Bein auf dieser Tour dauerhafte Ruhe gewähren?

West Virginia. Nach den nicht zu leugneten Strapazen der Appalachen in Pennsylvania habe ich mit der Überquerung der Staatsgrenze einen großen Meilenstein erreicht. Habe ich die Qualen der stetig auf- und absteigenden Landschaft nun endlich bewältig? Liegt das gelobte Flachland hinter der nächsten Düne? Was bietet Flora, Mensch und Getier? Ein kurzer, zweitägiger Trip durch West Virginia sollte mich belehren…

Tag 13: McChellandtown nach Hundret

Zuversichtlich setze ich meine Fahrt fort. Bereits das Tragen der Sportbandage zeigt Wirkung, trete wieder mit sicherem Halt und nach einigen Kilometer die mir sogar abfallend erscheinen, erreiche ich endlich den Übergang zu West Virginia. Ich habe Pennsylvania bestanden! Mit gekonnter Selbstverarschung motiviere ich mich, dass ich somit bereits einen der schlimmsten Abschnitte dieser Tour bewältigt habe. Nach einer geradezu angenehmen, ja, gar so stets gewünschten ruhigen abfallenden Bergstrecke erreiche ich das verschlafene „Hundret“ und hoffe auch hier wieder auf offene Ohren und Gastfreundschaft zu stoßen, den ein offizieller Campingplatz ist meilenweit keiner zu finden – und ich suche auch schon gar nicht mehr danach. Die erste Gruppe, die ich nach einem möglichen Schlafplatz befrage winkt doch etwas irritiert ab, doch ist so freundlich, mit zum Bürgermeister zu verweisen, der entspannt auf der Veranda des anliegenden Haus seine Pfeife pafft. Ich solle ihn doch mal fragen. Den Bürgermeister! Erst nach einem längeren Gespräch über Deutschland, den Weltkrieg und den Wiederaufbau gewährt er mir, den nicht weit entfernen Park die Nacht über zu nutzen. Dort hätte ich Schatten, Sitzmöglichkeit und sogar fließend Wasser zur Verfügung. Abermals erfreue ich mich, den unnötigen und nervigen Kosten eines Campingplatzes entkommen zu sein.

Tag 14: Hundret nach St. Marys

Die von mir ausgewählte Strecke heraus aus „Hundret“ entpuppt sich als Waldstraße. Vom Asphalt der Straße, sofern er je vorhanden war, ist nicht mehr viel übrig. Und abermals befinde ich mich wieder im stetig drehenden Laufrad zwischen Ab- und Auffahrt. Immer wieder hoffe ich, auf der Anhöhe endlich ein Ende zu erblicken, doch das Gegenteil scheint der Fall. Verschlungene Bergketten reihen sich dicht an dicht aneinander. Meinem Schreianfall bekomme ich nur verständnisloses Vogelgezwitscher entgegen geträllert.

Nach holprigen Stunden und wenigen bewältigten Kilometern erreiche ich endlich wieder die asphaltierte Straße und nehme den Umweg gerne in Kauf, den der Rückweg auf die Landstraße bedeutet. Zügig mache ich Strecke gut, die Straße ist leicht abfallend und unbeschreiblich schön geradeaus verlaufend. Kein Gegenwind stellt sich mir entgegen, nur wenige Trucks stoßen von hinten auf mich zu und umschiffen mich mit einem respektvollen Abstand. Der neben mir verlaufende Ohio-River glänzt mit Postkarten Idylle. Es waren einige schöne Augenblicke… bis ein Gewitter über mich einbricht! Blitze schlagen nicht unweit von mir an, der Donner ist ohrenbetäubend. Kräftiger Regen und Wind durchnässt mich bereits komplett, bevor ich meine Regenkleidung übergezogen habe und ich ärgere mich abermals, versäumt zu haben, wasserdichte Überzieher für meine Schuhe im Vorfeld zu besorgen.

Doch ich erreiche das erste Mal seit Tagen meinen zuvor gesetzten Zielort „St. Marys“, auch wenn mir bisher dort noch kein Schlafplatz gewiss war. Mit den positiven Erfahrungen bezüglich amerikanischer Gastfreundschaft erkundige ich mich in einer kleinen Pizzeria nach einem möglichen Camp oder Park. Im Laufe eines angenehmen Smalltalks bietet die Besitzerin mir schließlich einen zwar unromantischen Platz auf einer Wiese hinter der dazu gehörenden Waschstraße an, doch versichere ich ihr, dass mir Luxus und sanitäre Versorgungen weitestgehend gleichgültig sind. Nachdem ich auch vom Ehemann meinen Segen erhielt, luden sie mich zu einigen Gläschen Wein im anliegenden Pavillon ein. Bei einer lauwarmen Nacht, mit guten Wein und sympathischen Zuhörern und Erzähler erfuhr ich einen Abend, an dem mir der Wert dieser Reise wieder deutlich bewusst wurde.

Last but not least: Ich habe die ersten 1000 Kilometer hinter mir!

Tag 15: St. Marys nach Parkersburg

Von dieser Etappe gibt es nicht viel zu berichten. Schon am Vortag habe ich beschlossen, lediglich läppische 40 Kilometer auf mich zu nehmen. Nach drei Tagen erfolgreichem wie auch spaßigem und interessanten free-camping wollte ich mich mit einem Motel belohnen. Nach wochenlangem Camping genießt man bereits die Tatsache, aufrecht sein Zimmer betreten zu können. Mit Genugtuung wurde am sämtliche Ordnung gepfiffen, die verschwitzen Klamotten vom Leib gerissen und die Ausrüstung der Fahrradtaschen chaotisch im Zimmer verteilt. Zwischendurch noch ein Besuch in der örtlichen Sportsbar, ein ehrlicher, mit Liebe zubereiteter Burger sollte das Abendmahl sein und dann im Anschluss ab auf die Matratze. Ein Bett. Und ein Dach über dem Kopf. Herrlich.

Bereits mein dritter Bundesstaat: Ohio. Mit einer durchschnittlichen Höhe von 260 Meter ü.d.M. verspricht Ohio ein guter Freund zu werden. Ich habe genug von Bergen. Und West Virginia konnte mich noch nicht versöhnen. Wie wird sich Ohio schlagen? Der „Ohio River“ wird einen weiten Streckenabschnitt darstellten. Darf ich romantische Postkartenmotive erwarten? Eine knappe Woche zu Besuch in Ohio wird so schnell nicht in Vergessenheit geraten…

Tag 16: Parkersburg nach Athens

Ein neuer Staat, ein neues Glück. Am frühen Morgen überquere ich den Ohio River, der West Virginia und Ohio voneinander trennt. Auf eine feierliche Zeremonie musste weitestgehend verzichtet werden, da mir auf der engen Stahlbrücke die PKWs bedrohlich im Nacken saßen. Ich wundere mich immer wieder, dass Brücken in den USA weitestgehend ohne Fußgängerstreifen ausgeliefert werden. Die Strecke nach Athens sollte mir einen kleinen Vorgeschmack geben, dass es die Straßen der USA doch noch etwas an Romantik zu bieten vermögen. Natürlich handelte es sich heute nicht um eine zweispurige Schnellstraße, auf der man als Radfahrer neben den Massen von Trucks und PKWs wie ein ausgestoßenes und gerupftes graues Huhn erscheint. Die Strecke verlief durch Hinterland, mal auf mal ab, aber stets mit beruhigtem Verkehr und grünen Umland. Leider ist die Auswahl der Straßen oft reines Glück. Teilweise werden die Straßen vom amerikanischen ADAC Pendant, dem AAA Club, als Highways markiert, entpuppen sich jedoch als holprige Nebenstraße. Ein andermal bereitet man sich auf LKW Kolonen vor, erlebt jedoch eine verlassene, frisch asphaltierte Landstraße.

In Athens angekommen werde ich von einer Vielzahl von Studenten überrascht. Die Stadt erfühlt jegliches Klischee einer Studentenstadt. Menschen über 30 scheinen wie vom Erdboden verschluckt. Ein Café reiht sich an das andere. Auf der Brust zahlreicher Passanten prangert das Ohio University Emblem. Ich beobachte amüsiert das pulsierende Geschehen auf der Straße, schlürfe einen Café der den Namen kaum verdient und lasse gerne von einem vorbeifahrenden Radfahrer in ein Gespräch über Fahrradtouren im Allgemeinen verwickeln.

Tag 17: Athens nach Jackson

Es regnet seit Mitternacht durchweg. In der Hoffnung, der Regen müsse ja auch irgendwann einmal nachlassen, verschiebt sich das Aufstehen auf 9 Uhr. Doch es schüttet weiterhin unentwegt. Ich bereite den qualvollen Ausstieg auf den wenigen Quadratmeter innerhalb meines Zeltes vor, belade meine Satteltaschen, ziehe die Regenkleidung über, baue anschließend das noch eben so verführerisch trockene und warme Zelt in kürzester Zeit ab und begebe mich auf den zweispurigen Highway Richtung Portsmouth, um bei diesem Hundswetter wenigstens schnell voran zu kommen.

Der Gischt der vorbeibrausenden Autos nimmt mir oft die Sicht, die von der tief ins Gesicht gezogenen Kapuze eh nur auf ein paar wenige Meter voraus begrenzt ist. In der Zargen Hoffnung, meine Sichtbarkeit zu erhöhen, klemme an den Gepäckträger meine Stirnlampe, die ein blickendes Rotlicht beherrscht. Doch neben der Sorge, der Regen würde bald deren Schaltkreise aufweichen, zweifele ich stark an der Leuchtkraft der Lampe. Notiz an mich selbst: Ein großes Rücklicht kaufen. Lohnt sich sicherlich auch bei normalem Wetter.

Nach ca. 60 Kilometer verlassen mich meine Kräfte und nach der Pause in Jackson vergeht mir die Lust, unter diesen Umständen weiter zu fahren. Als ich am Ortsrand ein Fussballfeld passiere entscheide ich mich, an das vermeintliche Klubhaus zu klopfen und nach einem Zeltplatz zu bitten. Anstatt eines bulligen Trainers öffnete eine nette, etwas kautzig wirkende ältere Dame die Türe und hörte sich gespannt meinen Vortag an. Sie lädt mich herzlichst zu einem Abendessen nach meiner Wahl ein. Natürlich verhalte ich mich artig und nehme nur die ordentlich verpackten Reste des Vortages an. Immerhin gute Tortellini und etwas Reis mit Huhn. Während ich die warme Mahlzeit genieße, schöpft die gute Dame aus den vollen und präsentiert anhand von einigen Fotografien ihre Kinder und Kindeskinder. Ich genieße sichtlich die Kommunikation, die sich glücklicherweise doch noch in Richtung Fussball entwickelt, da ihr Mann ein Soccer-Trainer ist. Ich müsse ihn unbedingt morgen früh noch kennenlernen, legt sie mir ans Herz. Meinen Zeltplatz errichtete ich nahe dem Haus, ein Bach trennt das Grundstück. Aufgrund der dichten Vegetation und hängenden Baumkronen wirkt das Gelände wie ein kleiner Urwald. Und zahlreiches Geziefer unterstreicht diesen Eindruck. Während des abendlichen Zähneputzens präsentiere ich mich als Abendmahl für die örtlichen Moskitos. Schnecken und anderen Kriechtiere überwuchern meine äußere Zeltwand und lassen diese wie ein altes Korallenriff erscheinen. Mit Verzicht auf eine gute Belüftung verschließe ich den Zelteingang und ziehe mich zurück in mein kleines sauberes Reich.

Tag 18: Jackson nach Portsmouth

  • „139“ verläuft sehr angenehm
  • nahezu kein Verkehr
  • etwas hügelig, meist gerade, viele verlassene Häuser
  • Regen scheint sich wieder anzubahnen, aber noch ist es trocken
  • erhöhe meinen Sattel um 1-2cm und mir scheint, ich komme deutlich besser voran

Tag 19: Portsmouth nach Maysville

  • Motel-Day
  • Ich liebe ihn, ein richtiges Dach über dem Kopf
  • sorry, update des Blogs stockt weiterhin
  • verbringe den Tag mit Skype, Surfen und TV

Puuh, was soll ich sagen, ich habe Kentucky erreicht. Das Willlkommenschild des Staates macht schonmal nicht besonders was her. Doch laut den topografischen Karten soll mich immerhin weitestgehend flach bis leicht hügliges Land erwarten – eine mehr als willkommene Abwechslung.

Tag 19: Portsmouth nach Maysville

  • ich übertrete die Grenze zu Ohio
  • nach einer herrlich angenehmen Tagetour, quäle ich mich die letzten Meter zum Motel, welches sich zur Ironie auf einem steilen Hügel befindet

Tag 20: Maysville nach Dry Ridge

  • ich neige dazu, Zufriedenheit auszustrahlen
  • Etappe verläuft sehr angehm
  • kann endlich problemlos mit Kopfhörer und Musik fahren. Sehr wichtig für Motivation
  • nach Erreichen des Etappenziels sogar noch 30km Bonus gefahren, weil der Rückenwind grad so gut war
  • Tacho leider am Vortag mitgewaschen… and it’s gone.

Tag 21: Dry Ridge nach New Washington

Es fährt sich gut. Danke schön.

Der erste Tag, bzw. der Abend war hoffentlich nicht kennzeichnend für die Menschen vorort. Sonst stehe ich vor essentiellen Problemen. Wäre ich gerade nicht so müde, wäre ich vielleicht imstande, mich ausführlich zu artikulieren.

Tag 21: Dry Ridge nach New Washington

Abend bietet drei Downer:

  • Free-Camping scheint das erste Mal ein Problem darzustellen.
  • s gewittert mal wieder wie Sau.
  • am Abend bin ich mit den Cops konfrontiert, weil meine „Gastgeberin“ offensichtlich doch nicht so überzeugt von ihrer Wahl war, mich auf ihrem Grundstück campen zu lassen. Muss um 3h Nachts meine Sachen packen und von Dannen ziehen. Nächste Mal bitte einfach „NEIN“ sagen. Danke.

Tag 22: New Washington nach Georgetown

  • genieße Motelday
  • schaue Bayern beim Verlieren zu
  • ärgere mich über Joomla, das (EDIT: damalige) CMS System dieser Seite
  • sage „Gute Nacht“

Hier war ich doch schon mal!? Und für ein protziges „Welcome to Kentucky“ Straßenschild hat abermals nicht gereicht. Nichtsdestotrotz, Kentucky war zuvor gut zu mir und ich bin nach dem stellenweise doch eher seltsamen versnobten Indiana gespannt, wie es weitergeht.

Tag 23: Georgetown nach Cloverport

Träge und den Zeitplan trotzig missachtend, packe ich im Motel meine Sache zusammen. Die Motivation zum Radfahren hat einen neuen Tiefpunkt erreicht, denn ich fühle mich ausgelaugt, vielleicht sogar verkatert vom gestrigen Weingenuss. Wie gerne würde ich einfach nur auf der gepflegte Wiese des Lorettobades abliegen und mich von der Sonne verwöhnen lassen. Ein Schluchzer entfährt mir beim Schreiben dieser Zeile.

Gegen Ende eines alltäglichen, schweißtreibenden und ermüdenden Tages, erhalte ich wenige Kilometer vor Etappenziel ein Mitfahrangebot, das ich aus den bekannten, dickköpfigen Gründen abwinke. Jedoch erkunde ich mich beim sympathischen Fahrer nach einem möglichen Schlafplatz. Nach einem kurzen prüfenden Blick werde ich auf sein Gut eingeladen, jedoch nur, sofern ich jetzt gefälligst das Bike auf die Ladefläche des Pickups werfe. Amüsiert knausernd willige ich ein.

Metting Kelly AdKisson: Wir erreichen seine Farm nach einigen Kilometern Fahrt. Die mit Leichtigkeit dahin fließenden Meilen und der sommerliche Fahrtwind entlocken mir ein breitgrinsendes, zufriedenes Lächeln. Kelly’s Haus ist auf in der Mitte seines Lands auf einem kleinen, grasbewachsenen Hügel gelegen. Ringsherum verteilen sich die Scheune, Weidefläche und ungenutztes Brachland. Letzteres war den nativen Amerikanern (auch Indianer genannt) zu damaliger Zeit Jagdgrund und Lebensraum. Stolz präsentiert mir Kelly Überreste von historischen Grillstellen, die nur mühsam durch Dickicht und mit ein bisschen Kletterei zu erreichen sind. Der Ausflug handelt uns beiden eine Laden Zecken ein, die sich auch in den USA wohl zu fühlen scheinen. Wir zählen einen Endstand von 11 (Kelly) zu 4 (meiner einer) Zecken.

Im Anschluss erkundigt sich mein Touristguide was ich noch sehen will, ob ich überhaupt noch mehr sehr will. Mir scheint, ich bin nicht der einzige, der die neue Gesellschaft genießt. Wir durchfahren das nahe Umland, besichtigen den Ohio River und besuchen einen Freund Kellys, für dessen Grundstück, gesteht er, so manchen Hintern küssen würde. Ein sehr geringer Preis. Mir offenbart sich ein atemberaubender Blick auf einen weitlaufenden Ohio River. Am Horizont verschmelzen grünes Bergland, Fluss und Sonne zu einem Gemälde. Der Gutsherr scheint diesem inspirierenden Panorama würdig, stolz präsentiert er sein selbst errichtetes Haus, das mit kreativer Baukunst und Einrichtung glänzt. Beschämt berichte ich ihm von mir bewohnten durchschnittlichen deutschen 1-Zimmerwohnungen.

Zurück in Kellys Reich lassen wir den Abend sympathisch und gemütlich ausklingen. Auch die zwei Söhne Kellys, die sich in etwa meinem Alter befinden, sind anwesend. Im TV läuft gerade eine neue Folge „Lost“, die ich mit aller Kraft versuche zu ignorieren, während wir uns über das Leben, Menschen und den Rest der Welt unterhalten. Ein sehr schöner Tag. Wieder einmal ist nicht das Radfahren das beneidenswerte dieser Reise, sondern die Menschen, die man aufgrund des Rades kennenlernt.

Tag 24: Cloverport nach Sebree

Trotz des gestrigen Abends, der wunderbaren und spaßigen Bekanntschaft mit Kelly und seiner Sippschaft, fühle ich mich zurück auf der Straße bereits nach kurzer Zeit wieder unglaublich schlapp und demotiviert. Nach ca. 1800km habe ich scheinbar genug. Meine Beine sind schlapp, ich schaffe es kaum, die Augen aufzuhalten, meine Überzeugung und Begeisterung hat sich schon längst verabschiedet. Ist die Tour am Ende? Was tue ich mir hier an?! Warum musste ich für meine erste Tour gleich die USA mit 6000 Kilometern auswählen? Zu allem Überdruss konfrontiert mich die Suche nach einem abendlichen Schlafplatz abermals mit eher verschlossenen Naturen. Sichtlich frustriert und genervt von der Hausiererei, finde ich letztlich doch eine gastfreundliche Familie, die mich nach anfänglicher Skepsis vorzüglich mit Abendbrot und sogar einem Ventilator für die schwüle Nacht versorgt.

Das Szenario scheint sich wahrhaft zu wandeln. Berge weichen Hügeln, Hügel senken sich zu Ebenen. Ich erreiche die Mitte der USA. Auch die Ballungsdichte lüftet sich merklich, was mich sicherlich vor manch logistisches Versorgungsproblem führen wird.

Tag 25: Sebree nach Equality

Nach einer bewusst unstressig gewählten Etappe, checke ich abends erstmals wieder bei einem Camping ein. Ein garantierter Schlafplatz für faire 8$ ist mir den Umweg wird. Ich schlage mein Zelt am Schilfrand eines ruhigen Sees auf, umgeben von Tannenwald und angrenzender Hügelkette. Am Pier entspanne ich meine Füße im Wasser und genieße die Sonne, die meinen freien und noch blassen Bauch erstmals mit Sonnenlicht verwöhnt. Wohltuende Stunden für einen geschundenen Körper.

Doch am späten Abend findet die Romantik ein abruptes Ende. Ein Kröten- und Grillenkonzert reißt mich aus der frühen Nachtruhe. Viel zu dicht am Schilf, der Brutstätte jeglichen Kriechviehs, habe ich meinen Zeltplatz gewählt. Es scheint, als dröhne das Gequäke nur wenige Zentimeter direkt neben meinem Ohr. Die Uhr zeigt 21 Uhr. Die Sonne ist dem Mond gewichen. Irgendwann müssen die Viecher doch wieder Ruhe geben! Nach einer halben Stunde des gedanklichen Hin und Her, „ich stehe auf, ich stehe nicht auf“, verschließe ich letztlich fassungslos mein Zelt und trage es mitsamt des gesamten Hab und Gut, einige hundert Meter den Hügel hinauf, fernab des schlafraubenden Kröten Orchesters.

Tag 26: Equality nach Carbondale

Eine schnurgerade, zweispurige Schnellstraße soll mich nach Carbondale bringen. Ich befürchte schlimmstes. Schlechten oder gar keinen Seitenstreifen. Gegenwind und endlose Trucks. Aber nichts davon. Ich brause im Eiltempo, fast sportlich die Etappe herunter. Die neu gefundene Kraft kommt nicht von ungefähr. Ich habe beschlossen, mein Ziel aufzugeben! Einzusehen, dass diese entweder zu groß für mich ist, oder die Motivation nicht den Qualen überwiegt.

Mein Dillema ist kurzum das Folgende, denn es gilt…

…entweder USA TOUR

  • ich nehme eine dreimonatige Tortur über 6000 Kilometer wie geplant auf mich.
  • fahrtechnisch gibt es kaum Anlass zur Freude.
  • befinde mich tagsüber durchweg auf der Straße, Seite an Seite mit vorbei brausenden Trucks, bei Wind und Wetter.
  • ultimatives Ziel: „bezwingen meines persönlichen Everest“.

…oder USA REISE

  • mehrere Wochen USA mit dem Rad befahren.
  • einzusehen, dass nach gewisser Zeit das bei mir übliche Heimweh, Verlangen nach Freunden und Dach über dem Kopf einsetzt.
  • ich habe Kraft und Laune, Menschen und Land zu genießen.
  • eigentliches Ziel: „Spaß zu haben“.

FAILING IS NOT TRYING

Somit endet mein Bestreben, die USA mit dem Rad zu bezwingen sowohl aufgrund psychologischen Blockaden als auch, und das hat mich tatsächlich negativ überrascht, auch an physiologischen Gegebenheiten. Gleichwohl diese Reise vielschichtig lehrreich und spannend war, mir neue persönliche Werte und Einstellungen offenbarte und ich die gesammelten Erfahrungen nicht missen möchte, ärgere ich mich dennoch über die Naivität, für meine erste große Radtour Distanzen vom Formaten der USA auszuwählen.

Die Zugfahrt mit dem „California Zypher“ von AMTRAK führt mich von Carbondale, Illinois, über Chicago nach Reno, Nevada. Anders als in Deutschland ist das Streckennetz deutlich geringer und nur eine Handvoll Zuglinien strecken sich durch die Staaten. So wird eine Zugfahrt auch eher als Erlebnis präsentiert. Durch die Sprechanlage werden Land und Sehenswürdigkeiten beworben, der Logführe versucht mit lockeren Witzen für Unterhaltung zu sorgen, oder man findet in dem verglasten Lounge Wagon beim Panoramablick auf die weite Landschaft Entspannung. Ich genieße die Fahrt mit gemischten Gefühlen, staune über die Canyons und erstarre zum anderen über die schier unendlichen Einöden und Entfernungen.

Was für ein Szenenwechsel. Waren die letzten Wochen von sattem Grün, Bergen und fruchtbaren Umland geprägt, präsentiert sich mir nun eine Mischung aus Wüste und Bergland mit kanadischem Flair. Vor mir liegen einige stolze, schneebedeckte Berge, die auch mit zurück geschaltenen Ansprüchen sportlichen Ehrgeiz erfordern. Inmitten von Bergketten verspricht jedoch „Lake Tahoe“ für ausreichend Belohnung.

Tag 29: Reno nach Davis Creek (Lake Washoe)

Nach einer 50 Stunden andauernden Zugfahrt erreiche ich Reno, Nevada, der „kleinsten, großen Stand der USA“, die mit zahlreichen Casinos wie ein kleines Las Vegas daherkommt. Bedauernswerte, eher glücklose Naturen, die alle paar Meter um ein paar Cents betteln, stellen den Schatten des Glitzerns dar und veranlassen mich bald zur Weiterfahrt. Eine vielbefahrene, zweispurige Schnellstraße führt mich hinaus Richtung Süden zu Davis Creek, naheliegend und doch so fern vom Lake Washoe. Pinienwälder und der angrenzende, an der Spitze schneebedeckte Mount Rose sind die Wahrzeiten des gleichnamigen Campingplatzes, der zu meinem Schrecken aufgrund eines Feiertages ausgebucht war. Der Parkranger reihte sich glücklicherweise zu all den freundlichen und hilfsbereiten Amerikanern ein, die mir auf der Reise begegnet sind und bietet mir, ohne eine zu entrichtende Gebühr, beinahe beschämt an, zwischen Waschhaus und Parkplatz, im Schutze einiger Pinien zu campieren.

Tag 30: Davis Creek nach Zephyr Cove (Lake Tahoe)

Seitdem ich das Hauptziel, mein „Everest“ aus den Augen verloren habe, wird mir das Radfahren mehr und mehr zuwider. Gerade einmal etwas mehr wie 50 Kilometer stehen auf der Tagesordnung, doch ich dümpel mit Frühstück, Internet und Mittagessen in den Tag hinein. Vorausschauend buche ich nach gestrigen Schrecksekunden einen Campingplatz im südlich gelegenen „Zypher Cove“, am „Lake Tahoe“, von dessen Szenario selbst im 3000 Kilometer entfernten Chicago geschwärmt wurde. Mein Campingführer spricht sogar von einem Sandstrand. Ich bin skeptisch. Zudem gilt es noch Mount „Spooner Summit“ mit einer Höhe von 2149 Metern zu bezwingen. Obgleich er ein Monster darstellt, nehme ich es sportlich, denn mit der Gegend rund um Tahoe und einem möglichen Sandstrand habe ich ein erstrebenswertes und nahes Ziel vor Augen.

OMG! Ist das herrlich! „Lake Tahoe“ protzt mit atemberaubender Kulisse. Schneebedeckte Berge im nahen Hinterland, blaues und klares Wasser, Pinien- und Tannenwälder und tatsächlich feinkörniger Sandstrand. Jeder Faser meines geschundenen Körpers schreit vor Freude auf, als ich mich auf mein kleines Handtuch lege und Arme und Beine in den warmen Sand strecke. Die Sonne lacht vom blauen Himmel auf mich herab und ich lausche dem leichten Wellengang, sowie dem entfernten Toben der Badegäste. Es ist tatsächlich Sommer.

Tag 31: Zephyr Cove (Chillout Day 1)

Der Tag nach der Party. Das Wochenende und der Feiertag sind Geschichte. Der Camping nahezu leergefegt. Selbst die Sonne scheint eine Pause zu benötigen und versteckt sich hinter Wolken. Nordsee Stimmung. Mir gefällt es dennoch.

Tag 32: Zephyr Cove (Chillout Day 2)

Nahe dem Camping grenzen steile Hügel, deren Charakter durch riesige Gesteinsbrocken und alten umgestürzten Baumstämmen geprägt werden. Die Landschaft scheint verwildert und unberührt. Neben der erholenden Stille des Waldes, offenbart sich mir, als ich triumphierend die höchsten Felsen erklimme, eine grandiose Aussicht auf den Lake Tahoe.

Sunny state! Doch anfangs deutet noch sehr wenig auf Klischee behaftete Bikini- und Sommerstrände hin. Geradezu kanadisch, alpine Gebirgslandschaften stellen sich mir und den erholsamen Strandfeeling entgegen. Doch überschaubare Streckenabschnitte und ein nahendes San Francisco verleihen mir Kraft und Motivation. Auf zum Endspurt.

Tag 33: Zephyr Cove nach Caples Lake

Die Schonzeit ist vorüber. Die Tour muss weitergehen. Ausgehend von Lake Tahoe führt mich die heutige Etappe über die umliegenden, alpinen Giganten und deren „Carson Pass“ mit einer Höhe von 2653 Meter ü.d.M. im Besonderen. Wow, und was für eine Tagesetappe! Zu allen Seiten umgeben mich anmutig wirkende, schneebedeckte Gipfel. Die ruhige Landstraße führt mich durch beindruckende Täler sowie an reisenden Gebirgsflüssen vorbei und peitscht mich letztlich auf mir bisher unbekannte Gebirgshöhen hinauf. Eisiger Wind pfeift mir ins Gesicht, die Schneefallgrenze liegt einige hundert Meter unter mir und Seen ruhen unter Eisdecken im Winterschlaf.

Dieses Winterszenario durchkreuzt meine Pläne, einen Camping hinter dem „Carson Pass“ anzusteuern, denn dessen Gelände befindet sich noch unter einen dicken Eisschicht begraben. Die nächste Ortschaft ist meilenweit entfernt und die Sonne nähert sich bedrohlich dem Horizont. Für den heutigen Abend ist Wildcampen angesagt! Seitab der Landstraße, versteckt zwischen einigen Tannen und angrenzend an eine vermeintliche Gletscherzunge errichte ich meinen Zeltplatz. Meine Hauptsorgen gelten auf Ordnung bedachten Parkrangern, die mich böswillig aus dem verdienten Schlaf reißen könnten. Auch Bären, auf der Suche nach einer kleinen Zwischenmahlzeit stellen ein nicht zu unterschätzendes Risiko dar. Auf einen möglichen Blitzstart bedacht, richte ich meine Ausrüstung griffbereit, auf dass ich bei Bedarf das Camp binnen wenigen Minuten verlassen kann. Doch ich erfahre eine der ruhigsten und angenehmsten Nächte meiner gesamten Tour.

Tag 34: Caples Lake nach Lake Camanache

Nach dieser bemerkenswert ruhigen Nacht erwache ich gegen halb sechs. Nieselregel liegt in der Luft. Routiniert packe ich die Ausrüstung, schwinge mich in die Regenkleidung und hoffe auf eine gute Abfahrt von diesen anmutigen Gipfeln. Tiefhängende Regenwolken hängen in den Gipfeln fest und begrenzen die Sichtweite auf kaum hundert Meter. Der Tag beginnt auf über 2600 Meter – an dessen Ende befinde ich mich auf dem Meeresspiegel. Obgleich einige Auffahrten den Gesamteindruck trübten, konnte ich mich nahezu von der Abfahrt treiben lassen und lediglich Gegenwind verhinderte neue Geschwindigkeitsrekorde. Gegen Mittag lacht mir die Sonne endlich entgegen und beinahe fühle ich mich einem Motorradfahrer gleich, da dass Gefälle minimalen Kraftaufwand und rasches Vorankommen ermöglicht. Eine erwartungsgemäß berauschende Abfahrt und Eintritt in kalifornisch, sommerlich Abschnitte.

Tag 36: Stockton nach Walnut Creek

Eine Hiobsbotschaft am frühen Morgen: mein geplanter Camping „Diablo Juniper“ ist ausgebucht. Alternative Pläne für den benötigten Schlafplatz reichen von hausieren (doch Kalifornien scheint deutlich dichter besiedelt), über wildcamping, ein weiteres kostspieliges Motel, bis hin zu erneutem wildcamping. Nach längerer und ermürbender Suche finde ich am hinteren Ende des Stadtparks in „Walnut Creek“ eine verwilderte Wiese, einen Baumstumpf als Begrenzung und somit meinen Schlafplatz. Unter einem sternklaren Himmel breite ich im wilden Kornfeld meine Isomatte und Schlafsack aus, sichere meine Wertsachen und döse nach einer doch nochmal sehr kraftraubenden Etappe (Gegenwind, Mount „Diablo“ Pass) unter einem sternklaren, sommerlich kalifornischen Himmel von Grillenzirpen begleitet langsam ein.

Tag 37: Walnut Creek nach San Francisco

Der Endspurt will es nochmal wissen. Abermals stellen sich steile Hügelabschnitte mir meinem Ziel entgegen. Schon im Vorfeld habe ich ähnliches erwartet, doch das Schicksal spottet über mich. Die Wald- und Bergstrecke vor San Francisco und Oakland ist vielbefahrenes Rennrad-Gebiet. Zahlreiche Radler brausen an mir vorbei, während ich mich mühsam und lauthals fluchend den hoffentlich letzten Berg vor San Francisco hinauf quäle.

Und dann ist es endlich soweit: nach 5 Wochen, etwas mehr wie 2500 Kilometer, zweifeln, hoffen, lachen und fluchen, erblicke ich vom den Anhöhen nahe Oaklands endlich die ersten Ausläufer der Westküste! Mein Jubelschrei hätte in so manchem Skigebiet für Lawinen gesorgt! Ich bin am Ziel. Und ich bereue meine Entscheidung, weite Teile der geplanten Tour mit dem Zug zurück zu legen, nicht im Geringsten. Einzig meine Naivität ist mir vorzuwerfen, für meine erste große Fahrradreise, die Dimensionen der USA auszuwählen, doch ist Leben Erfahrung und um diese bin ich nun reicher. Welcome to Frisco!

Tag 38: San Francisco nach Half Moon Bay

Der Frisco Appetizer wird durch einen drei Tage Aufenthalt 40 Kilometer südlich in der Half Moon Bay fortgesetzt, die eine Postkarten Idylle und vegetationsreiche Küstenabschnitte zu versprechen scheint. Leider liegen ganze Abschnitte und Wohngebiete unter eine deprimierend grauen Nebel- und Dunstschicht bedeckt. Die Sonne hat nicht die geringste Chance durchzudringen. Wenn das hier Sommer ist, dann ist der Winter in Furtwangen kaum ungemütlicher.